Originalarbeiten
Ambulante Entgiftung mit Carbamazepin und Tiapridex – medizinische Sicherheitund Ergebnisse einer Follow-up-Untersuchung
Michael Soyka 1, Nikola Clausius 1,2, Gerrit Hohendorf 2, Michael Horak 1
1 Psychiatrische Klinik der Universität München, Nußbaumstr. 7, 80336 München2 Klientenzentrierte Problemberatung, Fachambulanz für Suchterkrankungen, Münchenerstr. 33, 85221 Dachau
Korrespondenzautor: Prof. Dr. Michael Soyka; E-Mail: [email protected] Zusammenfassung. Berichtet wird über eine 1-Jahres-Katam- Abstract
nese bei 87 alkoholabhängigen Patienten, die im Rahmen eines
Alcohol outpatient detoxification with acombination of carba-
strukturierten Therapieprogrammes ab 01.02.2000 an einer am-
mazepine and tiapride – medical safety and follow-up study
bulanten Entgiftung teilgenommen haben. Alle Patienten wur-den mit einer Medikamentenkombination von Carbamazepin
We report results of a 1-year follow-up study of 87 alcohol
und Tiapridex ambulant entzogen. Nur ein Patient brach die
dependent patients who had been detoxified in an standardized
Entgiftungsbehandlung ab. 86 Patienten wurden in eine weiter-
outpatient treatment program using a combination of carba-
führende dreimonatige Motivationsphase übernommen, 48 (45%)
mazepine and tiapride. Only one patient dropped out of treat-
Patienten der Ausgangsstichprobe beendeten diese erfolgreich.
ment. 86 patients entered the consecutive 3-month motivational
Von den 48 Patienten, die die weiterführende Rehabilitations-
phase of this outpatient treatment model. 48 (45%) terminated
behandlung antreten konnten, schlossen 44 Patienten (50% der
this phase succesfully. 44 out of the 48 patients completed the
Ausgangsstichprobe) diese ab. Die Ergebnisse belegen einerseits
following outpatient rehabilitation. These findings indicate the
die medizinische Sicherheit der ambulanten Entgiftung Alkohol-
relative medical safety of outpatient detoxification under defined
kranker bei korrekter Berücksichtigung definierter Ein- und Aus-
conditions and the efficacy of the concommitant "motivational"
schlusskriterien und andererseits die Effizienz des psychothera-
peutischen Ansatzes hinsichtlich einer weiteren Motivation zueiner Alkoholentwöhnungstherapie. Keywords: Alcohol; alcoholism; outpatient detoxification Schlagwörter: Alkohol; Alkoholabhängigkeit; ambulante Ent- giftung
wenig Widerstand entwickeln, sich mit ihrem problemati-schen Alkoholkonsum auseinandersetzen und nach Mög-
Einleitung
lichkeit ein Höchstmaß an Veränderungsbereitschaft zeigen.
Die Behandlung Alkoholkranker kann man nach Feuerlein et
Der Ausbau der ambulanten Versorgung Alkoholkranker
al (1998) in die Kontaktphase, Entgiftungs- bzw. Entziehungs-
wird seit langem gefordert (McCrady et al. 1996). Die Deut-
phase, Entwöhnungsphase (Rehabilitation) und Nachsorge-
sche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Ner-
phase unterteilen. Gerade in der Entgiftungsphase können
venheilkunde hat den Ausbau vor allem der ambulanten Ver-
wichtige Weichenstellungen zur weiteren Therapie Alkohol-
sorgung bei Alkoholabhängigkeit angeregt (DGPPN 1997).
kranker vorgenommen werden. Für Entgiftungsmaßnahmen,
Dies betrifft die ambulanten Entwöhnungstherapien, die etwa
die gleichzeitig psychotherapeutische/ motivationsfördernde
seit Anfang der 90er Jahre vermehrt angeboten werden (Soy-
Elemente enthalten, hat sich in der deutschsprachigen Litera-
ka et al. 2002), aber auch die ambulante Entgiftung Alkohol-
tur der Begriff "qualifizierte Entgiftung" durchgesetzt. Ihre
Effizienz kann als gesichert angesehen werden (Übersicht inMann et al. 1995). Unter "qualifizierter Entgiftung" ist nicht
In Skandinavien, Großbritannien und in den USA sind eine
die Vorverlagerung von Elementen aus der Entwöhnung
Reihe von Behandlungsmodellen zur ambulanten Entgiftung
bzw. Rehabilitation Alkoholkranker in die Entgiftungsphase
Alkoholkranker untersucht worden (Alterman et al. 1998,
zu verstehen, sondern eine psychotherapeutische "motivie-
Björkquist et al. 1976, Fleeman 1997, O'Connor et al. 1991,
rende" Vorbereitung Alkoholkranker auf weiterführende
Webb und Unwin 1988, Stockwell et al. 1986). Wiseman et al.
Therapien. Hier können z.B. Elemente der "motivierenden
(1998) berichteten eine Retentionsrate von 85%, d.h. dass
Gesprächsführung" zum Einsatz kommen (Miller und Roll-
nur 15% der Patienten die ambulante Entgiftung vor ihrer re-
nick 1991, 1999). Aspekte alkoholspezifischer, ärztlicher
gulären Beendigung abbrachen. Positive Ergebnisse sind auch
Gesprächführung können während der Entgiftungsphase so
in anderen Studien berichtet worden (Collins et al. 1990,
gestärkt werden, dass die betroffenen Patienten möglichst
Alterman et al. 1998, O'Connor et al. 1991, Webb und Un-
ecomed Medizin, Verlagsgruppe Hüthig Jehle Rehm GmbH, Landsberg
win 1988, Stockwell et al. 1986, Stinnet 1982, Feldman et al.
der Patienten kommen auf Grund einer Information aus den
1995, Pettinati et al. 1993). Für die ambulante Entgiftung
Medien und über 20% auf Empfehlung von ehemaligen
haben einige Studien eine etwas höhere Retentionsrate von
stationären im Vergleich mit ambulanten Patienten berichtet
Es werden Patienten aufgenommen, die das 18. Lebensjahr
(Hayashida et al. 1989, McKay et al. 1995, Alterman et al.
vollendet haben und einen festen Wohnsitz aufweisen. Ein
1995), aber die mittelfristigen Behandlungsergebnisse nach
relativ stabiles soziales Umfeld wird gewünscht, ist aber keine
etwa 6 bis 12 Monaten waren gleich. Hier existieren aber
Grundvoraussetzung. Wichtig ist die Entwicklung einer intrin-
noch erhebliche Forschungsdefizite. Collins et al. (1990) gin-
sischen Therapiemotivation, das Einhalten des Therapieplanes
gen davon aus, dass es keine Gründe gäbe, warum eine ambu-
und die Bereitschaft zur Suchtmittelabstinenz. Der überwie-
lante Entgiftung Alkoholkranker einen anderen Effekt auf
gende Teil der Patienten kommt aus dem Raum München, die
die Langzeitprognose Alkoholkranker haben sollte als eine
anderen Patienten aus der Umgebung von Dachau.
Das durchschnittliche Alter der Patienten liegt bei ca. 44 Jah-ren, der Anteil von männlichen zu weiblichen Patienten liegt
Ambulante Entgiftung Alkoholkranker –
bei 2:1. Ca. 30% der Patienten sind zum Eintritt in die The-
Eigene Erfahrungen mit einem Modellprojekt
rapie ohne Arbeit, und 40% leben gegenwärtig in keiner
Nach intensiven Verhandlungen mit den Krankenkassen
Partnerschaft. Mehr als 60% der Patienten haben keine the-
konnte 1998 in einer im Großraum München (Dachau)
rapeutische Vorerfahrung. Neben der psychiatrisch-neuro-
gelegenen Therapieeinrichtung, die bislang auf die Durchfüh-
logischen Diagnostik wird der Patient von seinem Hausarzt
rung ambulanter Entwöhnungstherapien bei Alkoholkranken
bzw. dem Konsiliararzt internistisch begleitet. Weiterführende
spezialisiert war, ein Modellprojekt "qualifizierte ambulante
neurologische Untersuchungen (EEG usw.) werden von nie-
Entgiftung" Alkoholkranker initiiert werden (Soyka et al.
1999, 2000). Ziel des Projektes war zum einen die Überprü-fung der praktischen Handhabbarkeit, Sicherheit und Effizi-
In der Motivationsphase finden pro Woche drei psychothe-
enz der ambulanten Entgiftung Alkoholkranker; zum ande-
rapeutische halbstündige Gespräche, eine 20-minütige ärzt-liche Untersuchungen und zwei psychotherapeutische Grup-
ren sollte der Behandlungserfolg durch die weitere Therapie
pengespräche sowie eine zusätzliche Gruppe für Nicht-Be-
in der Einrichtung katamnestisch überprüft werden. Das
rufstätige statt. Dabei lernt der Patient die behandelnden
Behandlungskonzept ist an anderer Stelle schon ausführlich
Ärzte und Therapeuten kennen. In der Rehabilitationsphase
dargestellt worden (Soyka et al. 1999, 2002).
reduziert sich das therapeutische Setting auf eine einstündige
Die Fachambulanz zur Behandlung von Suchterkrankungen
psychotherapeutische Sitzung mit einem festen Bezugsthera-
(auch Klientenzentrierte Problemberatung, KPB) ist eine fach-
peuten und zwei psychotherapeutischen Gruppensitzungen
ärztlich geleitete Ambulanz und Rehabilitationseinrichtung,
die seit mehr als 10 Jahren auf die Behandlung von Alkohol-
Bis 1998 wurden Patienten, bei denen eine Entziehungsmaß-
und Medikamentenabhängigen spezialisiert und von der
nahme notwendig war, in eine geeignete Klinik eingewiesen.
Kassenärztlichen Vereinigung sowie allen gesetzlichen Kran-
Optional kann seit 1998 jetzt auch eine ambulante Entgif-
ken- und Rentenversicherungsträgern anerkannt ist. Sie befin-
det sich im Einzugsgebiet von München. Dort ist ein multi-professionales Team mit im Moment vier Ärzten (Fachärzte
Einschlusskriterien für die ambulante Entgiftung sind:
für Neurologie bzw. Psychiatrie und Psychotherapie bzw. in
Alkoholabhängigkeit nach ICD-10-Kriterien
Ausbildung befindlich), fünf vollapprobierte psychologische
Fähigkeit zur aktiven Mitarbeit, Bereitschaft zur Absti-
Psychotherapeuten, zwei Sozialpädagogen und einer Familien-
therapeutin tätig. Pro Jahr finden durchschnittlich 450 bis
Unterstützende Bezugsperson im häuslichen Umfeld
500 Erstgespräche statt. Ca. 200 Patienten beginnen im lau-fenden Jahr die ambulante Entwöhnungsmaßnahme. In ei-
Ausschlusskriterien sind:
nem zweiphasigen Konzept, einer dreimonatigen Motivati-
Missbrauch und Abhängigkeit von mehreren psychotro-
ons- und einer achtmonatigen Rehabilitationsphase, werden
pen Substanzen (Polytoxikomanie), relevante neuropsy-
ca. 120 Patienten über den einjährigen Therapiezeitraum
chiatrische Folgeschäden: epileptische Anfälle, Alkohol-
medizinisch und psychotherapeutisch behandelt.
Der größere Teil der Patienten wird nach stationärer Entgif-
Schwere psychische Erkrankungen (z.B. Schizophrenie)
tung oder selbstständigem ambulantem Entzug in das vorbe-
reitende Motivationssetting der Entwöhnungstherapie aufge-
Schwere medizinische Erkrankungen: Pneumonie, Tuber-
nommen. Im Durchschnitt werden, nach ärztlicher Untersu-
kulose, andere Infektionen, Z. n. Kopfverletzung, dekom-
chung und Motivationsklärung, wöchentlich ca. vier bis fünf
pensierte Leberzirrhose, erosive Gastritis, Pankreatitis,deutlich reduzierter Allgemeinzustand
neue Patienten für die ambulante Langzeitentwöhnung rekru-tiert. Ca. 30% der Patienten werden von Hausärzten zu einer
Schwere behandlungsbedürftige Herzkreislaufstörungen
Behandlung überwiesen, 20% von Krankenhäusern, ca. 13%
In der Regel dauert die ambulante Entgiftung Alkoholkran-
von sozialen Diensten und Gesundheitsämtern. Weitere 15%
ker 5 bis 7 (max. 10) Tage und beginnt üblicherweise am
Wochenanfang. Davor erfolgt eine detaillierte Einschluss-
vieren. Sie sind wichtig, da sich die Effizienz der ambulanten
untersuchung. Idealerweise werden dabei auch die die The-
Entgiftung nicht alleine an der Haltequote bezüglich der
rapie begleitenden, unterstützenden Familienangehörigen
Entgiftung, sondern vielmehr auch an der Effizienz hinsicht-
mit einbezogen. Die Entzugssymptomatik wird dabei mit
lich der Zuführung zu weiteren Therapien messen lassen
einer deutschen Fassung der von Sullivan et al. (1989) vorge-
muss. Anzustreben ist also eine "qualifizierte ambulante Ent-
schlagenen CIWA-Skala sowie der Alkoholentzugsskala (AES)
giftung", in Anlehnung an "qualifizierte stationäre Entgif-
von Wetterling et al (1995) erfasst. Die AES-Skala bewertet
tungen" (Stetter et al 1995). Die Integration motivationsför-
psychische und vegetative Entzugssymptome nach einer vier-
dernder psychotharepeutischer Elemente ist dabei wichtige
teiligen Skalierung (0-3). Fünf psychische Symptome (Be-
Aufgabe der Alkoholtherapie (John 1991, John et al 2000).
wusstsein, Orientierung, Ablenkbarkeit, Halluzinationen,
Angestrebt wird eine Steigerung der Krankheitseinsicht, The-
Angst) und sechs vegetative Symptome (Pulsfrequenz, dia-
rapiemotivation und Abstinenzbereitschaft.
stolischer Blutdruck, Temperatur, Atemfrequenz, Schwitzen,Tremor) werden täglich im Entgiftungsverlauf erhoben. Eine
Fragestellung
medikamentöse bzw. psychopharmakologische Behandlung
Untersucht werden sollte die Frage der Sicherheit einer kom-
ist dabei nicht in jedem Einzelfall notwendig (siehe unten).
binierten Carbamazepin-/Tiapridex-Medikation bei Alkohol-
Eine symptomorientierte Therapie wird angestrebt. Bei einem
abhängigen nach erfolgter ambulanter Entgiftung im oben
Summenwert in der AES-Skala von 6 bis 10 für psychische
beschriebenen Setting. Die Evaluierung des Modellprojektes
Symptome ist eine Pharmakotherapie indiziert, bei höheren
ist zweistufig angelegt: Erstens soll die Anzahl der Patien-
Werten ist in der Regel eine stationäre Aufnahme des Patien-
ten, die die ambulante Entgiftung erfolgreich beenden kön-
nen, erhoben werden; zweitens interessiert der die Therapie
Bislang liegen kaum kontrollierte Therapiestudien zur Frage
begleitende psychotherapeutische "motivationale" Ansatz
des Einsatzes bestimmter Medikamente in der ambulanten
und damit auch die Frage, wieviele Patienten in eine weiter-
Entgiftung Alkoholkranker vor. In der Initialphase des Projek-
führende (vorzugsweise ambulante) Therapie überführt und
tes wurde, ausgehend von Überlegungen zum Suchtverhalten
dort gehalten werden können. Dazu werden 6 und 12 Mona-
der Patienten und zum Sucht- und Intoxikationspotenzial
te nach Abschluss der ambulanten Entgiftung katamnesti-
von Hypnotika, eine Behandlung mit Benzodiazepinen und
sche Erhebungen (persönliches Interview) durchgeführt.
insbesondere Chlomethiazol vermieden. Ergebnisse
Verschiedene Medikamente wie Doxepin und Clonidin wur-den eingesetzt (Übersicht in Soyka 2002, siehe auch AWMF-
Stichprobe
Behandlungsleitlinie, Mundle et al. 2003). Die ambulante
Eingeschlossen in die Untersuchung wurden 87 alkoholkran-
Verschreibung von Chlomethiazol ist wegen des hohen Sucht-
ke Patienten (60 Männer, 27 Frauen) mit einem Durchschnitts-
potenzials zu unterlassen (AKDÄ 2000).
alter von 44 Jahren (27-67 Jahre). Die mittlere Dauer derAlkoholabhängigkeit betrug 12 (1-34) Jahre. Von 87 Patien-
Basierend auf günstigen Therapieerfahrungen einer Kombi-
ten hatten 2 (2%) keinen Schulabschluss, 40 (46%) hatten
nation mit Carbamazepin und Tiapridex (Baltes et al. 1998)
die Hauptschule abgeschlossen, 24 (27%) eine mittlere Reife
wurden in der Folgezeit diese Medikamentenkombinationen
abgelegt, 16 (18%) der Patienten Abitur oder Fachabitur, bei
routinemäßig eingesetzt. Über erste Ergebnisse zur Dosie-
5 (6%) der Patienten war der Schulabschluss nicht bekannt.
rung an über 50 Patienten wurde bereits in einer früherenPublikation berichtet (Soyka et al. 2002). Die hier vorgestell-
15 (17%) der Stichprobe hatten bereits einmal eine stationäre
te Auswertung bezieht sich auf die mittelfristigen Therapieer-
Entgiftung abgeschlossen, zwischen 2 und 4 Entgiftungen
gebnisse der ambulanten Entgiftung und der jetzt auch hin-
hatten 3 (3%) Patienten absolviert. Bei 69 (79%) der Patien-
sichtlich der medikamentösen Behandlung standardisierten
ten war bislang keine stationäre Entzugsbehandlung erfolgt. Effizienz der ambulanten Entwöhnungstherapie
Die individuelle Dosierung der Medikation war dabei abhän-
Nur einer der 87 Patienten brach die Behandlung während
gig vom Schweregrad der Störung; im Regelfall wurden 600
der ambulanten Entzugsbehandlung ab. Bei zwei Patienten
bis 800 mg Carbamazepin und 300 bis 400 mg Tiapridex ein-
traten relevante medizinische Komplikationen auf (eine Kreis-
gesetzt und gegen Ende der Entgiftung ausgeschlichen.
laufdysregulation, eine fragliche Carbamazepinüberdosie-rung, die zu einer stationären Entzugsbehandlung führte). Psychotherapeutisches Setting
86 Patienten (99%) wurden in die weiterführende Motiva-
Wichtig ist die bereits während der ambulanten Entgiftung
tionszeit übernommen. 48 (45%) der Patienten beendeten die
einsetzende begleitende, primär verhaltenstherapeutische Psy-
Motivationszeit erfolgreich, 30 (34%) brachen die Motiva-
chotherapie mit Elementen des "Motivational Interviewing"
tionszeit aus eigenem Antrieb ab, in 9 (10%) der Fälle erfolgte
nach Miller und Rollnick (1991, 1999) (mindestens zwei bis
der Abbruch durch die behandelnde Einrichtung. Insgesamt
drei psychotherapeutische Einzelgespräche und Teilnahme
traten also 48 (55%) die weitere Therapie an (siehe Tabelle
an gruppentherapeutischer Sitzung). Diese psychotherapeu-
1). Die meisten Patienten waren während der Motivations-
tischen Interventionen sollen für eine weitere, vorzugsweise
zeit berufstätig (Tabelle 2).
ambulante, ggf. auch stationäre Entwöhnungstherapie moti-
Tabelle 1: Behandlungsergebnisse Tabelle 3: Rückfälle nach 6 und 12 Monaten Weiterführende Therapie nach Motivationszeit Rückfall während Motivationszeit Rückfallbedingter Abbruch während der Rehazeit Anzahl der Rückfälle nach einem halben Jahr Insgesamt 87 Rückfälle nach einem Jahr 87 (100%) Tabelle 2: Berufstätigkeit während Motivationszeit Berufstätigkeit
Nachuntersuchung dieser und anderer Stichproben belegt auch
die Effizienz des gewählten psychotherapeutischen Ansatzes.
Auch internationale Studien belegen die relative Sicherheit
der ambulanten Entgiftung Alkoholkranker zumindest im
strukturierten Rahmen. Wiseman et al (1998) legten vergleich-
bar günstige Ergebnisse vor. 85% von 108 Patienten wurden
in einem ambulanten Entgiftungsprogramm erfolgreich ohne
gravierende medizinische Komplikationen entgiftet. Im Ge-
gensatz zur vorliegenden Studie wurden 38% der Patienten
mit Chlordiazepoxid mediziert. Collins et al. (1990) berichte-
ten von ähnlich günstigen Resultaten. 79% der 76 Patienten
87 (100%)
wurden nach einer Psychopharmakatherapie von anfänglich
Ingesamt berufstätig während der 62 (71,3%) Motivationszeit
30-40 mg Diazepam über 5-7 Tage von Alkohol entzogen.
Die Anzahl der erfolgreich abgeschlossenen ambulanten Ent-giftungen liegt nach unseren Ergebnissen, nach entsprechender
66 Patienten (76%) hatten während der Motivationszeit kei-
Risikoabschätzung, bei über 90%. Kriterien für eine erfolg-
nen Rückfall. Von den 48 Patienten, die die weiterführende
reiche Entgiftung sind kontinuierliche negative Werte in der
Rehabilitationsbehandlung antreten konnten, schlossen 35
Atemalkoholanalyse und eine deutliche Reduktion von Ent-
(40%) die Behandlung ohne Rückfall ab. 44 Patienten (50%
zugserscheinungen (Summenwerte in der AES-Skala bei 0-2,
der Ausgangsstichprobe) konnten die Rehabilitation regulär
CIWA-A-Summenwerte zwischen 11 und 13).
abschließen (Tabelle 3).
Besonderes Forschungsinteresse verdient die Pharmakothe-rapie. Alternative Substanzen, die zur ambulanten Entzugs-
Diskussion
behandlung möglicherweise besonders geeignet erscheinen,
Die qualifizierte Entgiftung Alkoholkranker umfasst die Dia-
sind Carbamazepin oder Tiapridex, eventuell in Kombinati-
gnostik und Therapie der Alkoholintoxikation, mögliche Alko-
on (Baltes et al. 1998, Soyka et al. 2002), gegebenenfalls auch
holfolgestörungen sowie die Behandlung der Entzugserschei-
andere Medikamente, die ebenfalls kein Suchtpotenzial auf-
nungen. Die "qualifizierte Entgiftung Alkoholkranker" wird
heute als ein Kernstück evidenzbasierter Medizin in der Sucht-
Die vorliegenden Ergebnisse sprechen für eine gute Wirk-
therapie angesehen (Schmidt et al. 2002). Die von Schmidt et
samkeit dieser Kombination, auch wenn kontrollierte klini-
al. getroffene Feststellung "für die qualifizierte Entgiftung im
ambulanten Rahmen gibt es noch keine allgemein akzeptierteKonzeption", kann nach den vorliegenden Therapieergebnis-
Darüber hinaus müssen die während der ambulanten Entgif-
sen als nicht mehr ganz aktuell angesehen werden. Die
tung notwendigen psychotherapeutischen Interventionen nä-
her evaluiert werden. Die Effizienz der ambulanten Entgiftung
Miller WR, Brown JM, Simpson TL, Handmaker NS, Bien TH,
muss durch weitere Katamnesen belegt werden.
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