Dafür kämpfe ich Rainer Höflacher Mein Weg aus der Krise ist sicherlich noch nicht zu Ende. Aber das Gefühl auf dem richtigen Weg zu sein gibt mir Mut, Kraft und Freude. Ich will meine Erfahrungen weitergeben, ein bisschen, weil ich stolz auf mich bin, aber viel mehr, weil ich weitersagen will: Es gibt Hoffnung. Es gibt Genesung. Ich glaube an Heilung.
1981 erkrankte ich an einer Psychose. Lange schon hatte sich die Krankheit angekündigt. Ich führte ein unstetes Leben, schlief und sinnierte tagsüber viel und kam spät nachts eigentlich nur noch zum Schlafen nach Hause. Spürbar lag die Belastung der drohenden Abiturprüfung vor mir, obwohl ich ein guter Schüler war, und die unglückliche Liebe zu einer neurotischen Mitschülerin belastete mich schwer. Sicherlich machten sich meine Eltern Sorgen, aber wer hatte 1981 schon Wissen über psychische Erkrankungen? Man wusste grob, dass es da irgendwo Anstalten gab, wo die Verrückten eingesperrt waren, hatte aber nie die Idee, dass man selbst betroffen sein könnte.
Ich wurde vier Monate auf der geschlossenen Abteilung einer psychiatrischen Klinik ›behandelt‹. Ich hatte in dieser Zeit Erlebnisse in meiner inneren Welt, so wie ich mir Horrortrips vorstelle (ich habe noch nie in meinem Leben Drogen genommen!). Stephen King’s gelungenste Horrorvisionen scheinen mir harmlos gegen das, was ich damals an psychotischer Angst und absurden Wahnmodellen auszuhalten hatte. Ich vermute heute stark, dass
psychopharmakainduziert war. Ich wurde seinerzeit so vollgepumpt mit Neuroleptika, dass ich Krämpfe am ganzen Körper hatte, nicht mehr gehen konnte und von den Nebenwirkungen der Medikamente innerlich zerrissen wurde.
Als ich entlassen wurde, war ich alles andere als gesund. Ich wiederholte die 13. Klasse und machte 1982 mein Abitur an einem anderen Gymnasium nach. Das war nicht leicht, aber ich schlug mich durch. Nach zwei Jahren erwischte mich die zweite Psychose und ich musste mein Gewerbelehrerstudium abrechen. Auch nach dieser Psychose brauchte ich lange Zeit, bis ich wieder voll fit war. Erst 1984 fand ich den Mut, eine Ausbildung zum staatlich geprüften Informatiker zu beginnen. Und wieder erwischte es mich vor den Abschlussprüfungen. Wieder geschlossene psychiatrische Abteilung, wieder in einem neuen Jahrgang wiederholen. Meine abgeschlossene Ausbildung verdanke ich nur der Hilfsbereitschaft meiner Mitschüler, die mich ein Jahr später û erneut hatte es mich vor den Abschlussprüfungen erwischt û voll gepumpt mit Haldol, Neurocil und Tavor zu den Klausuren und dann wieder zurück in die Klinik brachten. So schaffte ich trotz allem einen passablen Abschluss und begann 1988, mit 27 Jahren, mein Berufsleben als Software-Systementwickler in der Nähe von Stuttgart.
Diese Berufszeit war ein Leidensweg. Ich wurde während der Probezeit wieder psychotisch und bekam die Stelle nur, als ich akzeptierte, bei psychischer Erkrankung keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung zu stellen. Die Psychosen kamen immer wieder und ich nahm Urlaub, wenn ich krank wurde. In kürzester Zeit musste ich so wieder arbeitsfähig sein und hatte mich kaum ein wenig erholt, als ich schon wieder in die nächste Psychose rutschte. Diese Zeit war geprägt von Versagensängsten und Minderwertigkeitsgefühlen. Trotzdem war meine Arbeitsleistung nicht so schlecht, dass ich entlassen wurde und so quälte ich mich in dieser Firma von Jahr zu Jahr, bis sie in Konkurs ging. Da ich von der Nachfolgefirma nicht übernommen wurde, trat ich im Nordschwarzwald eine neue Stelle als CAD-Programmierer an. Eine Psychose machte hier die Geschäftsleitung mit, die zweite bedeutete meine Entlassung.
1993 zog ich zu meinen Eltern nach Stuttgart zurück. Ich war damals schwer depressiv, mutterseelenallein und konnte meinen Haushalt nicht mehr führen. Bis dahin hatte ich immer wieder depressive Phasen, aber jetzt sollten vier Jahre kommen, in denen ich vollständig in der Depression versank. Außer den Besuchen im Sozialpsychiatrischen Dienst und gelegentlichen Treffen mit Leidensgenossen, war meine einzige Beschäftigung hin und
wieder ein paar Texte zu schreiben. Ansonsten verbrachte ich meine Zeit auf dem Sofa vor dem Fernsehapparat oder im Bett. Ich verwahrloste immer mehr. Meine Mutter nahm mir alle Aufgaben ab, ich war am Ende. Mir fehlte nur der Mut mir das Leben zu nehmen; meine Gedanken kreisten damals oft um dieses Thema. Lebensfreude und Lebenssinn kannte ich schon lange nicht mehr. Es bestand û weder beim mir, noch in meinem Umfeld û Hoffnung, ich schaute mir schon ein intensiv betreutes Wohnheim für psychisch erkrankte Menschen an, um dort einzuziehen, um so vielleicht irgendwie meine ›Teufelskreise‹ zu durchbrechen. Nur finanzielle Überlegungen und eine große Angst vor der Veränderung hielten mich letztendlich von diesem Schritt ab. So vegetierte ich leidend und hoffnungslos vor mich hin, mein Leben war zu dieser eine einzige große Qual.
Nach einer Rehamaßnahme in einer Werkstatt für Behinderte, die ich nach einem erneuten Klinikaufenthalt 1997 einfach abbrach, blieb mir nur noch der Ausweg, Rente zu beantragen. Mit der Gewährung dieser Rente, die überraschender Weise ein Höhe hatte, von der ich existieren konnte, und mit dem Umstieg vom atypischen Neuroleptikum Risperdal auf Zyprexa kam die Wende. Schritt für Schritt, ganz langsam, ging es mir besser.
Ein Jahr später starb mein Vater. Mein ganzes Leben lang hatte ich eine sehr problematische Beziehung zu ihm gehabt. Nun nahm er unsere Probleme mit ins Grab. Ich bekam plötzlich Luft und Raum. Es war unglaublich: die Depression war vorbei!
1999 besuchte ich ein Psychose-Seminar in Stuttgart. Das stellte die Weichen für mein weiteres Leben. Ein Mann sprach mich an, ob ich nicht versuchsweise einmal an den Gruppentreffen der Initiative Psychiatrie-Erfahrener (IPE) teilnehmen wolle, und ich bekam das Angebot, mich bei der Beschwerdestelle Psychiatrie Stuttgart als neues Mitglied zu bewerben. Ein weiterer Meilenstein war eine Regio in Heidenheim, die mich sehr beeindruckte und wo ich erstaunlicherweise schnell Anschluss fand (die Regio ist diejährliche, landesweite Tagung der organisierten Psychiatrie-Erfahrenen in Baden-Württemberg). Nicht vergessen darf ich, dass ich 1999 auch die Frau traf, mit der ich heute noch zusammen bin und auch zusammen bleiben will. Das hat sicherlich große positive Auswirkung auf meine Zufriedenheit und auf meine Stabilität.
Ich fand großen Gefallen an den Themen, denen ich bei der IPE und bei der Beschwerdestelle begegnete. War ich in den 20 Jahren Psychiatrie-Erfahrung nicht zum Erfahrungs-Experten in Sachen Psychiatrie geworden? Schnell fühlte ich mich immer kompetenter. Kontinuierlich besuchte ich die IPE und arbeitete bei der Beschwerdestelle mit. Als ich im April 2000 in einer Arbeitsgruppe der Regio-Tagung in Tauberbischofsheim von der Idee eines Vereins hörte, der unter der Leitung von Psychiatrie-Erfahrenen psychosoziale Einrichtungen aufbauen wollte, war ich sogleich Feuer und Flamme. So war ich dabei, als die Offene Herberge geboren wurde. So wurde das ehrenamtliche Engagement im Umfeld der Psychiatrie für mich zum Lebensmittelpunkt. Ich besuchte Tagungen und übernahm immer anspruchsvollere Aufgaben. Ich wurde Mitglied im Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener (BPE) e.V. und in der Landesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener Baden-Württemberg (LAG PE BW). Deren Jahrestagungen sind inzwischen ein Muss für mich geworden.
Im März 2001 wurde mir dann das Amt des Sprechers der IPE in Stuttgart übertragen. Im Dezember 2001 wurde ich zum Vorstandsmitglied des Stuttgarter Bürgerkreises zur Förderung seelischer Gesundheit und im September 2002 zum Vorstandsvorsitzenden der Offenen Herberge e.V. gewählt. Inzwischen bin ich auch Mitglied des Heimbeirates eines Wohnheimes für psychisch erkrankte Menschen und Initiator des Radioprojektes »Seelenpresse« geworden. Ich habe als Vertreter der IPE Sitz und Stimme im Stuttgarter Gesundheitsausschuss und besuche, teilweise in verantwortlicher Funktion, mehrere Gruppen und Gremien. Ich gebe sporadisch Unterricht an Fachhochschulen und werde zu kleinen Veranstaltungen und Seminaren als Referent eingeladen. Zudem werde ich immer häufiger, z.B. zu Kurzvorträgen, von der LAG PE BW delegiert. Mein Arbeitsschwerpunkt ist jedoch die Offene Herberge e.V., wo ich z.Zt. den Vorstandsvorsitz als meine wichtigste Aufgabe verstehe. Der Verein, der von Psychiatrie-Erfahrenen geleitet wird, bietet Ambulant Betreutes Wohnen mit 13 Plätzen an, veranstaltet monatlich einen Clubabend (Abendessen + Referat)
und einen Sonntagstreff. Darüber hinaus kann man so genannte Aktivgruppen (Gespräch, Literatur, Computer, Kunst, Wandern) besuchen. Ich bekomme nach wie vor keinen Gehalt für meine Tätigkeiten, obwohl inzwischen mein Aufwand mindestens einem Halbtagsjob gleichkommt. Etwas mehr Geld im Monat zusätzlich täte mir schon gut.
Es ist eigenartig, wie aus mir nahezu ein ›Profi-Betroffener« geworden ist. Ich weiß manchmal gar nicht mehr so recht, wo mir der Kopf steht vor lauter Terminen, Aufgaben und Pflichten. Aber es macht Spaß. Enorm großen Spaß. Mir begegnen fast täglich neue und interessante Menschen; hauptsächlich sind das andere Psychiatrie-Erfahrene, aber auch Politiker und professionell in der Psychiatrie Tätige û bis hin zur Leitungsebene von größeren Institutionen. Ich bekomme auch immer wieder Bestätigungen, ohne die es langfristig nicht geht. Natürlich handelt man sich auch etlichen Ärger ein, fragt sich manchmal, warum mache ich das alles überhaupt? Aber wenn ich dann bedenke, wie angefüllt mein Tag ist, wie viel ich jeden Tag lernen kann, ohne mühselig in Bücher büffeln zu müssen, wie kurzweilig meine Lebensstunden vergehen, dann weiß ich, dass ich zur Zeit genau das Richtige für mich tue. Nicht zu schweigen davon, dass für mich mein soziales Engagement, moralisch gesehen, einen Ausgleich für den Bezug meiner Erwerbsunfähigkeitsrente darstellt.
Nicht verschweigen darf ich an dieser Stelle, dass ich immer noch aufpassen muss. Vor allem, wenn ich viele anstrengende Tage hintereinander habe, merke ich, dass ich doch nicht so belastbar bin wie Menschen ohne psychisches Handicap. Dann muss ich einen Gang zurückschalten, mir Hilfe holen oder sogar mehr Medikamente nehmen.
Ich muss übrigens nach wie vor Solian und Carpamazepin nehmen, trotzdem habe ich entgegen der Prognose meiner Psychiaterin immer noch die Hoffnung, irgendwann ohne Psychopharmaka leben zu können. Momentan versuche ich nach und nach mein Umfeld davon zu überzeugen, mich bei einem kontrollierten und begleiteten Absetzversuch zu unterstützen. Das Erkennen von Frühwarnzeichen, aber vor allem das richtige Reagieren darauf, scheint mir ausschlaggebend dafür, neue schwere Krankheitsschübe vermeiden und weiter gesunden zu können.
Neben den subjektiven Vorteilen, die meine Arbeit für mich hat, sollen die vielen Dinge, die ich tue, letztendlich den Psychiatrie-Erfahrenen zu Gute kommen, auch wenn das für mich nicht immer direkt und sofort spürbar ist. Ich setze mich für die Belange von meist leidenden Menschen ein, die immer noch ausgegrenzt, in ihren Rechten eingeschränkt und meist falsch gesehen werden. Neben der gesundheitspolitischen Arbeit versuche ich innerhalb meiner Möglichkeiten anderen psychisch Erkrankten konkrete Hilfestellungen zu geben. Das heißt, ich habe nicht nur selbst persönliche Vorteile von meiner Arbeit, sondern ich tue objektiv auch einen gesellschaftlich wertvollen Dienst.
Mir kommt es manchmal so vor, als ob meine Berufserfahrung als Informatiker ein Irrweg war, der mich klein, ängstlich und unglücklich gemacht hat. Erst jetzt kann ich an die mutige und selbstbewusste Person anknüpfen, die ich vor meiner Erkrankung war. Ich habe immer wieder meine Krisen û Januar 2002 war ich zuletzt in der Klinik û, aber die Tendenz zeigt ganz klar seit sechs Jahren stetig nach oben.
Jeder geht seinen eigenen Weg. Nicht jeder Psychiatrie-Erfahrene ist dafür geschaffen in Gremien zu sitzen, Vorträge zu halten, Geschäftsbriefe zu schreiben usw. Wenn nur einer durch diese Zeilen dazu angeregt wird, sich für Psychiatrie-Erfahrene einzusetzen (und das fängt bereits bei einem hilfreichen Gespräch an), wenn nur einer sich entschließt bei den Psychiatrie-Erfahrenen-Gruppen oder bei der Offenen Herberge vorbeizuschauen und dabei zu bleiben, dann hat dieser Text einen Sinn.
Jeder geht seinen eigenen Weg. Gewisse Leitsätze kann man aber vielleicht verallgemeinern: Wer für sich selbst û trotz psychischer Erkrankung û etwas findet, woran sein Herz hängt, eine Tätigkeit, mit der er sich identifizieren kann und die einen irgendwie gearteten Sinn ergibt, und wer das Glück hat, ohne größere Unterbrechungen Antrieb für diese Tätigkeit zu finden, das heißt vorwiegend Freude und Spaß daran hat, der geht mit Sicherheit einen guten Weg. Wer auf die Fragen: »Was machst du? Was bist du?«, mehr spürt, wie die peinliche
Befangenheit »Hilfe! Ich bin psychisch krank. Ich bin arm, klein, schwach und nichts wert«, der hat begonnen zu gewinnen, der hat begonnen sein Dilemma zu besiegen, der kann gesund werden û unabhängig von allen düsteren Prognosen!
Zuletzt noch ein Hinweis: Ich bin mir ganz sicher, dass die Mitwirkung der Psychiatrie-Erfahrenen û und damit meine ich die Mitwirkung in allen Bereichen der Psychiatrie, nicht nur bei Planungen und Entscheidungen, sondern auch konkret in der täglichen Hilfe für andere Psychiatrie-Erfahrene û eine entscheidende Verbesserung für das System der Psychiatrie und für die psychisch Erkrankten mit sich bringt. In Teilen der Fachwelt geht die Tendenz erfreulicher Weise auch schon in diese Richtung. Trotzdem gilt es noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten. Negative Vorurteile, erstarrtes Denken und konservative Strukturen behindern hier immer noch eine positive, hilfreiche Entwicklung. Konservatismus ist nicht von vorne herein zu verurteilen, aber in diesem Zusammenhang liegt es klar auf der Hand, dass im Erfahrungspotenzial der Psychiatrie-Betroffenen enorme Entwicklungs- und Fortschrittsmöglichkeiten für das psychiatrische Hilfesystem liegen. Die Psychiatrie-Erfahrenen mitarbeiten und mitgestalten zu lassen und die daraus entstehenden Probleme anzugehen und zu lösen, ist eine unbedingte und notwendige Aufgabe für alle, die Interesse am Schicksal von Menschen mit psychischen Behinderungen haben. Das fordere ich, dafür arbeite ich, dafür kämpfe ich.
Fee-For-Service Pharmacy Provider Notice #154 – September Pharmacy Updates Please be advised that the Department for Medicaid Services has made the following changes to the Kentucky Medicaid Fee-For–Service Pharmacy Program . On September 5, 2012 , Kentucky Medicaid placed brand Binosto® as a non-preferred product on the Preferred Drug List (PDL) with a Ti
ASSESSING THE FUNCTION OFGENETIC VARIANTS IN CANDIDATEGENE ASSOCIATION STUDIES Timothy R. Rebbeck*, Margaret Spitz ‡ and Xifeng Wu‡ Knowledge of inherited genetic variation has a fundamental impact on understanding humandisease. Unfortunately, our understanding of the functional significance of many inherited geneticvariants is limited. New approaches to assessing functional significance o