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Editorial
Forsch Komplementärmed Klass Naturheilkd 2001;8:193 –195 Das Wirksamkeitsparadox in der
Komplementärmedizin

Überblicksarbeiten über komplementärmedizinische Inter- Therapieeffekte sich in der Placebogruppe niederschlagen. Zu ventionen kommen nicht selten zu dem verwirrenden Schluss, diesen gehören verschiedene Effekte, unter anderem Mess- dass sich die Intervention als wirksam erwiesen habe im Ver- artefakte aufgrund der Ungenauigkeit der Messinstrumente, gleich zu Nichtbehandlung und Wartegruppen oder gar als statistische Regression zur Mitte, natürlicher Krankheitsver- gleich wirksam wie etablierte Therapien, aber nicht wirksamer lauf und unspezifische Effekte, die zustande kommen, weil als Placebo. Dies liegt zum Teil daran, dass manche Typen von Patienten eine Besserung erwarten, da ihnen im Rahmen einer Studien wenig durchgeführt werden. Ein anderer Grund für Behandlung mehr Aufmerksamkeit zuteil wird; im Rahmen diesen Befund könnte aber auch das von mir so benannte dieser Behandlung sind sie Teil einer speziellen Studie mit den Wirksamkeitsparadox sein. Hinter diesem Begriff verbirgt sich entsprechenden Ehrfurcht einflössenden Ritualen, die alle folgender Sachverhalt, den ich in einem kurzen Gedanken- Besserung verheissen. Artefakte, Regressionseffekte und unspezifische Therapieeffekte gemeinsam machen das aus, was Stellen wir uns zwei Behandlungen für eine Krankheit vor, man gemeinhin den Placeboeffekt im Rahmen einer klinischen sagen wir chronischen Schmerz, die in zwei placebokontrol- Studie nennt. Messartefakte und Regressionseffekte sind, das lierten Studien getestet wurden, bei vergleichbaren Patienten- dürfen wir annehmen, in beiden hypothetischen Studien gleich populationen, gemessen mit denselben Instrumenten. Behand- gross. Denn die Messartefakte hängen einzig und allein von lung y, so nehmen wir an, habe sich als wirksam erwiesen, der Art der verwendeten Masse ab, und diese setzen wir als Behandlung x dagegen nicht, und zwar weil im Vergleich zwi- gleich voraus. Regressionseffekte sind bedingt durch die Art schen Behandlung y und Placebo y die Behandlungsgruppe der behandelten Krankheit und die Charakteristik der Patien- der Placebogruppe signifikant überlegen war, Behandlung x tenpopulation, die wir ebenfalls als gleich voraussetzen. Die aber nicht gegenüber Placebo x. Behandlung x, so wollen wir unspezifischen Therapieeffekte jedoch, so wollen wir anneh- einmal annehmen, zeigte nämlich nur eine Überlegenheit von men, sind variabel und hängen ab vom Setting der Therapie 10% gegenüber der Placebokontrolle, Behandlung y jedoch und einer Fülle von Faktoren, die teilweise beim Patienten zu eine Überlegenheit von 20%, ein Unterschied, der bei den vor- suchen sind – Erwartungen, Hoffnungen, Veränderung des handenen Patientenzahlen signifikant war. Die Schlussfolge- Lebensstils, Diät oder Verhaltensweisen –, teilweise beim rung der Autoren in einer Publikation über die Studienergeb- Therapeuten – Fähigkeit, eine tragfähige Beziehung aufzubauen, nisse des Vergleichs von Behandlung x gegenüber Placebo x Vermittlung von Zuversicht usw. In unserem Gedanken- wären: «x ist unwirksam». Die Schlussfolgerung beim Vergleich experiment machen diese unspezifischen Effekte in Behand- von y gegenüber Placebo y hingegen wären: «y ist wirksam».
lung x 30% des Gesamteffekts aus, in Behandlung y jedoch nur Jeder, der die Grafik auch nur flüchtig betrachtet, sieht, dass 5%. Diese hypothetische Situation führt nun dazu, dass mit dieser Argumentation etwas im Argen liegt. Worauf be- Behandlung x zwar absolut gesehen viel erfolgreicher ist, weil ruhen die Schlussfolgerungen, und was bleibt unberücksich- durch sie 70% aller Patienten Besserung erfahren, wogegen in tigt? Die Schlussfolgerungen beruhen einzig und allein auf Behandlung y nur 55% gebessert werden. Aber das Urteil der dem relativen Unterschied zwischen Verumbehandlung und Forschung erklärt x zu einer unwirksamen, y jedoch zu einer Placebobehandlung, der die Grösse des spezifischen Effekts der Verumbehandlung abbilden soll. Dieser spezifische Effekt, Wie kommt dieses Paradox zustande? Offensichtlich dadurch, so nimmt man an, ist derjenige Anteil am Therapieerfolg, der dass man stillschweigend annimmt, dass die Artefakte und aufgrund der «eigentlichen», spezifischen Wirksamkeit der unspezifischen Effekte allgemein gleich gross und deswegen Intervention zustande kommt, wohingegen die unspezifischen vernachlässigbar sind, und überdies, dass nur die spezifischen Interventionen, die sie hierfür verwenden, sind von ihrer spezifisch
Therapietheorie her meist spezifisch. Aber wer sagt denn, dass unspezifisch
die Effekte ebenso spezifisch sind? Möglicherweise sind kom-plementärmedizinische Massnahmen gute Wege, um auf Regression
unspezifischem Wege die Selbstheilungskräfte zu stimulieren.
Artefakte
Möglicherweise tun sie das sehr effizient. Aber möglicherweise unwirksam
tun sie das auch vor allem vermittels eines grossen unspezi- fischen Therapieanteils. Immer vorausgesetzt, dies ist so, würde wirksam
die Situation in Abbildung 1 die Problematik der komple- mentärmedizinischen Forschung gegenüber der konventionel- len idealisiert wiedergeben. Wir haben guten Grund zu dieser Vermutung. Anekdotische Erfahrung von Forschern bestätigt Placebo-
genau dieses Szenario immer wieder. Eine Illustration liefert effekt
uns die jüngst publizierte Studie von Abbot et al. [6] zu geisti- gem Heilen als Therapie für chronische Krankheit (siehe auch Behandlung x
Behandlung y
den Journal Club im vorangegangenen Heft [7]). In dieserStudie erhielten 30 Patienten geistige Heilung, 30 Patienten Placebo x
Placebo y
erhielten eine Scheinbehandlung: Schauspieler beobachtetenzunächst geistige Heiler bei ihrer Tätigkeit, um sie dann nach- Abb. 1. Gedankenexperiment zum Wirksamkeitsparadox – Erläuterung
zuahmen und dabei von 1000 rückwärts zu zählen. Diese Art der Scheinbehandlung ist natürlich extrem glaubwürdig undmaximiert damit selbstverständlich die unspezifischen Anteileder Behandlung. Es wundert einen denn auch nicht, dass diese Effekte wirklich therapeutisch wertvoll sind. Das Gedanken- Studie keine signifikanten Unterschiede zwischen echter und experiment macht die Konsequenz dieser Annahmen deutlich.
Scheinbehandlung zeigen konnte. Allerdings, und dies ist sehr Beide Voraussetzungen sind möglicherweise fatal und ziemlich interessant – Details hierzu im Kommentar des Journal Clubs sicher falsch. Die unspezifischen oder Placeboeffekte sollen [7] – waren die absoluten Effekte, die diese Behandlung er- bei der klassisch pharmakologischen Forschung natürlicher- zeugte, also unspezifische plus spezifische Effekte, sehr gross.
weise minimiert werden, weil man den Unterschied zwischen Leider haben die Autoren die Studie nicht von diesem Stand- Verum und Placebo möglichst gross machen will, um den Wert punkt aus diskutiert, sondern nur von jenem der spezifischen des spezifischen Pharmakons zu belegen. Gerade diese unspe- Unterschiede. Und von diesem gesehen sind die Unterschiede zifischen Effekte sind aber möglicherweise die hauptsäch- zwischen echter und Scheinbehandlung sehr gering.
lichen Träger des Therapieeffekts in der Praxis und sollten Selbstverständlich ist es ein wichtiges Anliegen der Forschung eigentlich in jeder effektiven Behandlung maximiert werden.
herauszufinden, ob eine Behandlungsform insgesamt wirksam Vor allem sind sie vielleicht je nach Therapieform unterschied- ist und ob sie eine Wirksamkeit besitzt, die über psycholo- lich gross. Es gibt Daten, die zeigen, dass Placeboeffekte oder gische Komponenten hinausgeht.Aber es ist fatal, vor allem für genauer, die Therapieeffekte in Placebogruppen, eben nicht Behandlungsformen wie denen der Komplementärmedizin, gleicht gross sind [1], dass sie mit der Grösse der Verumeffek- davon auszugehen, dass all die psychologischen und unspezi- te variieren und relativ wenig mit dem Krankheitsbild [2–4], fischen Effekte, die auch in Kontrollgruppen sehr deutlich und vor allem, dass sie mit länger dauernden Studien eher sichtbar sind, unwichtig und in gewisser Weise Abfalleffekte zunehmen [4]. Und es gibt gute Gründe zu vermuten, dass sind. Umgekehrt: Diese Effekte sind die Basis, auf denen die Placeboeffekte oder unspezifische Therapieeffekte maximiert spezifischen Effekte aufsitzen. Das Mittelalter verwendete werden, wenn die Erwartungen der Patienten hoch sind, wenn eine wunderschöne Ikonographie für sein Verhältnis zur Tra- Weltbild und Erklärungsmythos des Arztes mit denen des Pa- dition: Zwerge, die auf Schultern von Riesen sitzen [8]. In den tienten gut übereinstimmen [5]. Genau das ist aber bei kom- Fenstern der Kathedrale von Chartres sind sie abgebildet.
plementärmedizinischen Massnahmen in hohem Masse ge- Johannes von Salisbury berichtet von seinem Lehrer Bernhard geben. Meistens wählen sich Patienten in komplementärmedi- von Chartres, dass dieser zu sagen pflegte, wir, die Modernen, zinischer Behandlung diese nach reiflicher Überlegung, nach seien wie Zwerge, die auf Schultern von Riesen sitzen; des- fehlgeschlagenen konventionellen Behandlungsversuchen und wegen sehen wir so weit. Dies ist ein gutes Bild für das Ver- oft nach langer Suche aus. Sie investieren also gehörig, nicht hältnis von spezifischen zu unspezifischen Effekten: Die spezi- nur finanziell, sondern auch psychologisch und ideell. Von fischen Effekte sind wie Zwerge auf den Schultern von Riesen, ihrem Selbstverständnis her sind komplementärmedizinische deswegen reichen sie so weit. Manchmal kann es sinnvoll sein, Behandlungsweisen meistens regulativ, d.h. sie versuchen, nur die Grösse der Zwerge zu vermessen. Dies ist das, was Selbstregulationsmechanismen wieder in Gang zu bringen. Die placebokontrollierte Studien tun. Aber es ist reichlich kurz- Forsch Komplementärmed Klass Naturheilkd sichtig zu meinen, man wisse dann etwas darüber, wie weit trollierten Praxis-Settings zu sehen; und schliesslich gross eine Therapieform reicht. Dazu muss man die Gesamtgrösse angelegte «Outcome»-Studien mit langen Beobachtungs- zeiten, um die Effekte in einer weitgestreuten Praxis zu dokumentieren. Erst alle Methoden zusammen ergeben das Mosaik der tatsächlichen Effekte einer Behandlungsmethode.
1. Es kann nicht angehen, dass man die spezifische Wirksamkeit 3. Es wird Zeit, dass wir uns um die Frage kümmern, was zur alleinigen Richtschnur von Effektivität einer Therapie- eigentlich die unspezifischen Therapieeffekte ausmacht.
Möglicherweise sind gerade sie die gemeinsame Endstrecke 2. Um die gesamte Effektivität zu kennen, benötigt man ver- sehr vieler therapeutischer Bemühungen. Möglicherweise schiedene Studienansätze, die sich komplementär ergänzen sind sie auch die Brücke zu konventionellen Behandlungs- müssen: placebokontrollierte Studien, um die Grösse des weisen. Möglicherweise zeigt sich in ihnen, wie Selbst- spezifischen Effekts schätzen zu können; offene, randomi- heilungsprozesse funktionieren. Dies müsste eigentlich sierte Vergleichsstudien, um die Wirksamkeit gegenüber nicht nur komplementärmedizinische, sondern alle Forscher Standardbehandlung schätzen zu können; vergleichende Studien an natürlichen Gruppen, um die Effekte in unkon- Literatur
1 Kleijnen J, de Craen AJM, Van Everdingen J, Krol L: 3 Maidhof C, Dehm C, Walach H: Placebo response (eds): Non-Specific Aspects of Treatment. Bern, Placebo effect in double-blind clinical trials: A review rates in clinical trials. A meta-analysis. Int J Psychol of interactions with medications. Lancet 1994;344: 6 Abbot NC, Harkness EF, Stevinson C, Marshall FP, 4 Walach H, Maidhof C: Is the placebo effect dependent Conn DA, Ernst E: Spiritual healing as a therapy for 2 Kirsch I, Sapirstein G: Listening to Prozac but hear- on time? in Kirsch I (ed): Expectancy, Experience, chronic pain: A randomized, clinical trial. Pain ing placebo: A meta-analysis of antidepressant medi- and Behavior. Washington, DC, American Psycho- cations; in Kirsch I (ed): Expectancy, Experience, and logical Association, 1999, pp 321–332.
Journal Club. Forsch Komplementärmed Klass Behavior. Washington, DC, American Psychological 5 Frank JD: Non-specific aspects of treatment: The view of a psychotherapist; in Shepherd M, Sartorius N 8 Klibansky R: Standing on the shoulders of the giants.
Forsch Komplementärmed Klass Naturheilkd

Source: http://www.europa-uni.de/de/forschung/institut/institut_intrag/texte/Editorial_Wirksamkeitsparadox_2001.pdf

Artigo 4 - v2n2

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