Wuppertal, 20. Februar 2013 Kommentar zur WDR-Fernsehsendung „Alkohol – die älteste Droge der Welt“ in der Reihe „Quarks & Co.“ mit Ranga Yogeshwar vom 19. Februar
von Dr. Matthias Brecklinghaus, Leiter der Fachklinik Curt-von-Knobelsdorff-
Haus der Blaues Kreuz Diakoniewerk mGmbH
Allein die Tatsache, dass dem Thema Alkohol in der beliebten Sendereihe
„Quarks & Co“ 45 Minuten eingeräumt wurde, ist als positiv zu bewerten;
denn wie es in der Sendung ja auch zum Ausdruck kam, besteht in
Deutschland ein allgemein viel zu unkritischer Umgang mit dem Alkohol.
Daher ist jede Initiative zu begrüßen, die diesem Trend etwas entgegensetzt.
Auch die didaktische Aufbereitung war gut gemacht. Komplizierte
Zusammenhänge wurde vereinfacht und für den Laien gut verständlich und
nachvollziehbar erklärt; ein großes Lob! Nachhaltig beeindruckend war
insbesondere auch das persönliche Fal beispiel des betroffenen Oberarztes:
ein gutes Beispiel dafür, dass Alkoholabhängigkeit letztlich vor keiner sozialen
Schicht Halt macht und sogar über Jahre hinweg unbemerkt inmitten unserer
Hochleistungsgesel schaft fortschreiten kann.
Für jemanden, der sich normalerweise mit der Thematik nicht beschäftigt,
fand ich das Pensum der gebal ten Informationen zu hoch. Hier hätte man –
nach dem Motto „Weniger ist mehr“ – auf zwei oder drei Unterthemen
besser verzichtet und dafür die verbliebenen Themen etwas mehr vertieft.
Das letzte Unterthema (Therapie von Alkoholproblemen), für das ca. 8
Minuten veranschlagt waren, war aus meiner Sicht schlecht recherchiert und
unausgewogen. Dieses Unterthema ist so facettenreich und komplex, dass es
wohl fast unmöglich ist, es in 8 Minuten abzuhandeln. Wenn man es dann
doch tut, dann kann dabei eigentlich nur etwas sehr „Unausgegorenes“
• Das in Deutschland sehr differenzierte System der Suchthilfe mit seinen
„Standard-Angeboten“ wurde eigentlich gar nicht dargestel t. Ich meine
damit das Angebot der landesweit zahlreichen Beratungsstel en, der
unterschiedlichsten Selbsthilfegruppen, der Entgiftung, Motivierung
und Rehabilitation (in ambulanter, tagesklinischer und stationärer
Form), der differenzierten Möglichkeiten soziotherapeutischer
Hilfestel ungen (Betreutes Wohnen in ambulanter und stationärer Form
mit weiteren Unterdifferenzierungen) sowie die in letzter Zeit auch
zunehmenden Formen des Fallmanagement, bei dem verschiedene
Hilfesysteme miteinander kooperieren. Stattdessen wurde der Fokus
auf eine „Außenseitermethode“ gelegt (Modellprojekt ALITA), deren
fachliche Einschätzung (insbesondere was den Einsatz des
Medikamentes Antabus betrifft) selbst unter Experten umstritten ist.
• Die Begründung, mit der der Fokus auf das ALITA-Modellprojekt gelegt
wurde (Erfolgsquote von 50 % im Vergleich zu 30 % bei stationärer
Entwöhnungsbehandlung), ist schlichtweg falsch. Ich weiß nicht, woher
die Zahl von 30 % kommt, aber sie stimmt nicht mit den Aussagen der
meisten zu dieser Frage durchgeführten Studien und auch nicht mit den
Katamnese-Ergebnissen der meisten deutschen Suchtfachkliniken
überein. Auch wenn man über Details und Nachkommastel en trefflich
streiten kann, so ist es keine falsche Aussage, wenn man davon
ausgeht, dass die Erfolgsquote nach Entwöhnungsbehandlungen
(sowohl ambulant als auch stationär) auch nach mehreren Jahren in
etwa bei 50 % liegt. Damit ist die ALITA-Behandlung den „Standard-
Verfahren“ gegenüber nicht überlegen.
• Es wurde ein Kostenvergleich zwischen ALITA-Behandlung (50 €/Tag)
und Entzugsbehandlung (200 €/Tag) angestel t. Dazu ist zunächst zu
sagen, dass man die ALITA-Behandlung nicht gegen eine
Entzugsbehandlung aufrechnen kann, da beide Behandlungen ganz
andere Zielsetzungen haben und eine Entzugsbehandlung auch zu
Beginn einer ALITA-Behandlung in vielen Fäl en notwendig ist. Und
wenn man schon die Kosten nebeneinander stel t, dann muss man auch
die Länge der Behandlung erwähnen und nicht nur die Kosten pro Tag.
Eine Entzugsbehandlung dauert ein bis zwei Wochen, so dass hierbei
Gesamtkosten von 2.000 (- 3.000) € entstehen. Eine ALITA-Behandlung
dauert zwei Jahre, so dass bei einem Tagessatz von 50 € Gesamtkosten
von ca. 36.000 € entstehen. (Zum Vergleich: eine stationäre
Entwöhnungsbehandlung kostet bei einem durchschnittlichen
Tagessatz von 100 € und einer Dauer von ca. 100 Tagen ca. 10.000 €,
eine tagesklinische Entwöhnungsbehandlung ist mit ca. 6.000 € und
eine ambulante Entwöhnungsbehandlung mit ca. 4.000 € zu
• Es wurde unterstel t und zwischen den Zeilen kritisiert, dass die
Fortsetzung des ALITA-Model projektes aus Kostengründen von den
Krankenkassen nicht mehr unterstützt würde. Selbst wenn dies so ist
(was durchaus nicht unwahrscheinlich ist), dann wäre diese
Entscheidung der Krankenkasse – nach obiger Gegenüberstellung der
Behandlungskosten – für mich durchaus zu rechtfertigen. Denn die
Krankenkasse hat ja (im Sinne der Solidargemeinschaft) auch die
Aufgabe, unnötige Kosten zu vermeiden. Und wenn ein neues
Behandlungsangebot letztlich nicht besser ist als die bisherige
„Standardbehandlung“ und darüber hinaus auch noch wesentlich
teurer ist, dann hat die Krankenkasse nicht nur das Recht, sondern auch
die Pflicht, die Kostenübernahme dieser Behandlung abzulehnen.
• Die Problematik des Medikamentes Antabus (Disulfiram) wurde völlig
unbefriedigend abgehandelt. Hier wurden lediglich zwei
entgegengesetzte Expertenmeinungen gegenübergestellt. Mit al en sich
daraus ergebenden weiteren Fragen wurde der Zuschauer dann allein
gelassen. Inwiefern das hinter dem Medikament Antabus stehende
Konzept grundsätzlich zu befürworten ist, ist eine ethisch hoch
relevante Frage. Ebenso ethisch relevant bleibt die Frage, inwiefern es
zu rechtfertigen ist, ein (bei gleichzeitiger Alkoholeinnahme) potentiel
lebensbedrohliches Medikament einzusetzen, wenn andere
Behandlungsmöglichkeiten ebenso erfolgreich sind oder andere
Behandlungsmöglichkeiten noch gar nicht ausgeschöpft wurden.
Bezüglich all dieser sehr brisanten Fragen ist ein ethischer Diskurs nötig,
der aber bisher leider auch unter Experten nicht wirklich geführt wird.
• Die Fragestel ung des letzten Unterthemas („Welches ist die beste bzw.
erfolgreichste Behandlungsform bei Alkoholproblemen?“) ist vom
Ansatz her schon ungeeignet, da die Beantwortung von zahlreichen
Faktoren abhängt, wie z. B. die Dauer und Schwere der Erkrankung, das
Maß der sozialen Einbindung, die Ursachen der Suchtentwicklung, die
Behandlungsmotivation, die Reflexionsfähigkeit, die
Mitwirkungsbereitschaft und -fähigkeit des Betroffenen, etc. Die Frage
müsste also vielmehr lauten: Welche Behandlungsform ist für welchen
Betroffenen und seine individuel e Situation die erfolgversprechendste?
Und da gibt es dann – je nach Konstel ation – durchaus sehr
unterschiedliche Vorgehensweisen, die in vielen Fällen zum Erfolg
Soweit meine Kritik. Es bleibt die Hoffnung, dass unter Betroffenen
insbesondere durch den letzten Teil der Sendung nicht falsche Erwartungen
geweckt wurden, wie dies leider häufiger nach einseitigen Darstel ungen in
Medien passiert. Schön wäre es auch, wenn der WDR die Thematik der
Behandlung von Alkoholproblemen nochmals aufzugreifen würde, um sie in
einem weiteren Beitrag umfassender und sachdienlicher darzustel en.
Dr. med. M. Brecklinghaus Facharzt für Neurologie
Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie
Blaues Kreuz in Deutschland e.V. Telefon: 02 02 / 6 20 03-42, Telefax: 02 02 / 6 20 03-81, E-Mail: [email protected]
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